Bereits auf dieser überraschend langen Fahrt ließen sich einige Beobachtungen machen. Erstens: Der Inder hupt gerne und viel, ähnlich wie in Italien gehört Hupen fast schon zum guten Ton, allerdings sind die nächtlichen Straßen Italiens wenig befahren im Vergleich zu zumindest denen Bangalores. Zweitens: Auf den großen Straßen, auf denen man tatsächlich bis zu 80 Stundenkilometer fahren darf, gibt es keine Überholspur. Alle Spuren sind eine Überholspur, wenn vor dir plötzlich ein deutlich langsameres Tuk-Tuk oder ein bis obenhin mit Zementsäcken beladener LKW auftaucht. Besonders spannend wird der Verkehr, von dem ich ja doch nur die nächtliche Seite gesehen habe - ich mag mir nicht ausmalen, wie die gleichen Straßen bei Tag befahren werden -, wenn ein Sattelschlepper unmittelbar hinter einer Highway-Ausfahrt feststellt, dass er die falsche genommen hat und langsam, aber sicher, rückwärts zurückrollt, um abfahren zu können, oder jedes Fahrzeug innerhalb von wenigen Sekunden aufgrund von bewusst platzierten Bodenwellen von 80 auf nur einige wenige km/h herunterbremsen muss, sodass man das Gefühl hat, der nächste Auffahrunfall stehe unmittelbar bevor. Ebenfalls sehr schön fand ich eine Kreuzung der Art, dass mehrere, ich denke es waren fünf oder sechs, mehrspurige Straßen zusammentrafen. Statt dass der Verkehr durch Ampeln oder wenigstens Fahrbahnmarkierungen geregelt würde, konnte ich nur ein Rautenmuster auf der Kreuzung erkennen, was wohl so viel heißt wie "Jeder darf nach seinem Gusto verfahren". Eine dritte Beobachtung war die, dass anscheinend auch Nachts auf Baustellen munter weitergearbeitet wird. Überhaupt waren für halb drei Uhr morgens erstaunlich viele Menschen auf den Beinen. Unzählige überdimensionierten Werbetafeln säumen den Straßenrand und rasant wechseln die Bausubstanzen - zwischen Bauruinen und Rohbauten findet sich ein alter Tempel, an der nächsten Ecke hingegen ein riesengroßer abgesperrter Gebäudekomplex, der den geschlossenen Nachbarschaften der Reichen in Lateinamerika ähnelt, daneben ein Krankhaus, umgeben von Wellblechhütten. Gegen Viertel nach Drei erreichten wir schließlich das Guest House, in dem ich sehr warm empfangen wurde. Allerdings schlief ich nicht lang und und auch nicht wirklich gut, denn bereits gegen acht wurde ich für das Frühstück geweckt und das Bett war ungewöhnlich hart.
Seitdem habe ich überwiegend versucht, die Zeit totzuschlagen, damit ich morgen Abend weiter nach Kundapur reisen kann und von da aus, am Ende der nächsten Woche schließlich, nach Chennai, wo mich mein Projekt erwarten wird. Ich bin sehr gespannt auf das, was kommen mag, auch wenn ich mir noch nicht wirklich vorstellen kann, was das sein wird. Zumindest soweit ich das beurteilen kann, hat sich meine Vorstellung von Indien als ein Land des Chaos und als ein Land, welches dem eigenen kulturell so fremd ist, wie nur wenig andere, weitestgehend bestätigt. Aber gleichzeitig ist es auch spannend zu sehen, wie andere mit dem Leben umgehen, wie freundlich viele sind und wie man sich selbst in so einer Situation verhält. Nun wird es bereits dunkel, es ist 18.45 Uhr, in Deutschland beginnt gleich die Bundesliga. Ich freue mich darauf zu erleben, was dieser Freiwilligendienst für mich bereithält.
Klasse Seite, super Berichte! Spanendes Leben :-)
AntwortenLöschenViele Grüße aus dem kalten Norddeutschland!