Samstag, 1. April 2017

Indien im Sommer 2017 - Ein erster Eindruck

Nun ist es also soweit: Nach endlos erscheinenden Monaten des Wartens - vor allem auf mein Visum: Danke für Nichts, indisches Konsulat - landete ich gestern Nacht in Bangalore. Zugegeben, diese Monate hätte ich effektiver nutzen und verbringen können, aber was soll's. Nach dem Flug in einer sehr geräumigen Boeing 747, bei dem ich mir mit Sicherheit eine Erkältung geholt habe - Danke für Nichts, Klimaanlage -, dem Passieren der Sicherheitskontrollen - wie soll ich bitte, wenn ich bereits in ein Flugzeug gelangt bin, gefährliche Gegenstände mit mir führen, wenn ich dieses verlasse? Danke für Nichts, Sicherheitsbestimmungen, Massenhysterie und 9/11 - und dem entnervenden Warten auf meinen Rucksack verließ ich orientierungslos suchend den Flughafen. Sollte mich nicht jemand von FSL India abholen? Als ich drauf und dran war, die Reihe der vor dem Ausgang wartenden Taxifahrer und Chauffeure ein zweites Mal abzugehen, in der Hoffnung, dieses Mal eher jemanden zu erblicken, der auf mich warten könnte, rief mich tatsächlich eine Stimme: "Mister? FSL India?", und hielt ein laminiertes Schild hoch, auf dem, bereits ziemlich abgenutzt, der Name der Partnerorganisation, bei der ich meinen Freiwilligendienst verbringen soll, stand. Ich ging zu ihm, reichte mir die Hand und fragte "Felix Schäfer?". Als ich dies bejahte, bedeutete er mir, ihm zu folgen. Wir erreichten ein für deutsche Verhältnisse bereits recht ramponiertes Taxi, in das ich meine Sachen lud und einstieg. In dem Taxi kamen mir kurzzeitig erste Zweifel, ob dies denn auch so richtig sei - vor meinem inneren Auge spielte sich bereits ein Entführungsdrama mit mir in der Hauptrolle, ab -, doch ich beschloss, den Dingen ihren Lauf zu lassen und abzuwarten. Diese Gedanken waren, rückblickend betrachtet, meiner falschen Erwartungshaltung zuzuschreiben: Zum Einen war ich davon ausgegangen, mit den zehn anderen Freiwilligen, mit denen ich mein Orientation Seminar in Kundapur an der Westküste Karnatakas zu fliegen, wobei mir schon am Frankfurter Flughafen und während des Fluges in den Sinn kam, ich würde alleine anreisen, und zum Anderen hatte ich erwartet, jemand Offizielles von der Organisation würde mich begrüßen, nicht ein zwischengeschalteter Taxifahrer, in dessen Fahrzeug ich von alleine wohl nie gestiegen wäre. Wir fuhren nun also - es war mittlerweile halb drei Uhr nachts vorbei - durch die dunklen, aber nicht sehr ruhigen Straßen der drittgrößten Stadt Indiens.
Bereits auf dieser überraschend langen Fahrt ließen sich einige Beobachtungen machen. Erstens: Der Inder hupt gerne und viel, ähnlich wie in Italien gehört Hupen fast schon zum guten Ton, allerdings sind die nächtlichen Straßen Italiens wenig befahren im Vergleich zu zumindest denen Bangalores. Zweitens: Auf den großen Straßen, auf denen man tatsächlich bis zu 80 Stundenkilometer fahren darf, gibt es keine Überholspur. Alle Spuren sind eine Überholspur, wenn vor dir plötzlich ein deutlich langsameres Tuk-Tuk oder ein bis obenhin mit Zementsäcken beladener LKW auftaucht. Besonders spannend wird der Verkehr, von dem ich ja doch nur die nächtliche Seite gesehen habe - ich mag mir nicht ausmalen, wie die gleichen Straßen bei Tag befahren werden -, wenn ein Sattelschlepper unmittelbar hinter einer Highway-Ausfahrt feststellt, dass er die falsche genommen hat und langsam, aber sicher, rückwärts zurückrollt, um abfahren zu können, oder jedes Fahrzeug innerhalb von wenigen Sekunden aufgrund von bewusst platzierten Bodenwellen von 80 auf nur einige wenige km/h herunterbremsen muss, sodass man das Gefühl hat, der nächste Auffahrunfall stehe unmittelbar bevor. Ebenfalls sehr schön fand ich eine Kreuzung der Art, dass mehrere, ich denke es waren fünf oder sechs, mehrspurige Straßen zusammentrafen. Statt dass der Verkehr durch Ampeln oder wenigstens Fahrbahnmarkierungen geregelt würde, konnte ich nur ein Rautenmuster auf der Kreuzung erkennen, was wohl so viel heißt wie "Jeder darf nach seinem Gusto verfahren". Eine dritte Beobachtung war die, dass anscheinend auch Nachts auf Baustellen munter weitergearbeitet wird. Überhaupt waren für halb drei Uhr morgens erstaunlich viele Menschen auf den Beinen. Unzählige überdimensionierten Werbetafeln säumen den Straßenrand und rasant wechseln die Bausubstanzen - zwischen Bauruinen und Rohbauten findet sich ein alter Tempel, an der nächsten Ecke hingegen ein riesengroßer abgesperrter Gebäudekomplex, der den geschlossenen Nachbarschaften der Reichen in Lateinamerika ähnelt, daneben ein Krankhaus, umgeben von Wellblechhütten. Gegen Viertel nach Drei erreichten wir schließlich das Guest House, in dem ich sehr warm empfangen wurde. Allerdings schlief ich nicht lang und und auch nicht wirklich gut, denn bereits gegen acht wurde ich für das Frühstück geweckt und das Bett war ungewöhnlich hart. 
Seitdem habe ich überwiegend versucht, die Zeit totzuschlagen, damit ich morgen Abend weiter nach Kundapur reisen kann und von da aus, am Ende der nächsten Woche schließlich, nach Chennai, wo mich mein Projekt erwarten wird. Ich bin sehr gespannt auf das, was kommen mag, auch wenn ich mir noch nicht wirklich vorstellen kann, was das sein wird. Zumindest soweit ich das beurteilen kann, hat sich meine Vorstellung von Indien als ein Land des Chaos und als ein Land, welches dem eigenen kulturell so fremd ist, wie nur wenig andere, weitestgehend bestätigt. Aber gleichzeitig ist es auch spannend zu sehen, wie andere mit dem Leben umgehen, wie freundlich viele sind und wie man sich selbst in so einer Situation verhält. Nun wird es bereits dunkel, es ist 18.45 Uhr, in Deutschland beginnt gleich die Bundesliga. Ich freue mich darauf zu erleben, was dieser Freiwilligendienst für mich bereithält.




1 Kommentar:

  1. Klasse Seite, super Berichte! Spanendes Leben :-)
    Viele Grüße aus dem kalten Norddeutschland!

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