Samstag, 8. April 2017

Woche Eins: In einem fremden Land

Während ich diese Zeilen schreibe, neigt sich die erste Woche dem Ende zu. Ich habe viel gesehen und viel erlebt und bin mir trotzdem immer noch nicht ganz dessen bewusst, was ich gerade hier erlebe. Die Eindrücke sind so umfassend und schier unerschöpflich, sodass ich nicht denke, dass irgendjemand, geschweige denn ich, in der Lage ist, den Zauber dieses Landes je ganz mit Worten einzufangen. Aber fangen wir damit an zu beschreiben, was sich so zugetragen hat im fernen und fremden Indien.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag trafen die anderen Freiwilligen ein. Unglücklicherweise geschah dies um ca. 3.30 Uhr, sodass ich unsanft von der angehenden Zimmerbeleuchtung aus meinem nicht wirklich festen Schlaf gerissen wurde. Ich mimte dennoch den Schlafenden, weshalb sich ein erstes Kennenlernen auf den nächsten Morgen verschieben sollte. Schnell war dann am Morgen ein Gespräch im Gange und ebenso schnell stellten wir fest, dass wir vieles gemeinsam haben. Beim gemeinsamen Verzehr von Idli – dies sind kleine Reisküchlein – zum Frühstück wurden Geschichten über die Anreise und den bisherigen Lebenslauf, der sich vor allem aus der Schullaufbahn zusammensetzt, ausgetauscht. So stellten wir z.B. fest, dass ich mit zwei der Mädchen tatsächlich bereits meine Auswahl absolviert hatte. Den Tag verbrachten wir, die Gruppe bestand nun aus etwa elf Personen, überwiegend mit Quatschen und den bei solchen Gelegenheiten so allseits beliebten Rätselspielen. Auch für eine kleine Erkundung der Umgebung war Zeit.

Am Abend schließlich sollte unsere Weiterreise nach Kundapur beginnen. Gegen 19.45 Uhr verließen wir das Guest House und stürzten uns in den Verkehr von Bangalore: Mit vier Auto-Rikschahs wollten wir zu dem Ort gelangen, an dem unser Sleeper-Bus abfahren sollte. Diese ungefähr zwanzigminütige Fahrt durch die Straßen Bangalores erwies sich als das erste große Abenteuer auf dieser Reise. In dem kleinen Gefährt erlebt man den Verkehr noch viel unmittelbarer als beispielsweise in einem Auto, und wenn dieser dann noch, zumindest in meinen Augen, so viel chaotischer und unübersichtlicher ist, als in Deutschland, lassen sich gefühlte Nahtoderfahrungen nicht vermeiden. Gleichzeitig war es aber auch faszinierend zu erleben, wie gewandt sich der Fahrer durch die kleinsten Lücken zwischen den größten Fahrzeugen hindurchschlängelt, wie der Verkehr trotzdem auf seine Weise doch weitestgehend sicher funktioniert und wie rege das Leben auf und an den Straßen selbst nach Einbruch der Dunkelheit noch ist.Schließlich erreichten wir den Ort, an dem wir in den Bus stiegen sollten, der in keinster Weise für einen von uns Freiwilligen als Bushaltestelle erkennbar war. Um ehrlich zu sein ist das Busfahren zum und vom Projekt auch der Punkt, der mich im Moment am meisten beunruhigt, denn woran man erkennen soll, welcher Bus wann wie von wo wohin fährt, habe ich noch nicht begriffen. Aber ich denke, dass ich dahingehend in einer Woche schlauer sein werde. Um kurz vor Neun konnten wir dann in den Bus steigen, der im Inneren radikal anders als ein deutscher Bus war, ganz abgesehen davon, dass dies ein Fernbus war, und Fernbusse in Deutschland immer noch quasi inexistent sind, verglichen mit Indien: Er bestand zu drei Vierteln aus Betten bzw. Schlafplätzen – Betten klingt doch arg euphemistisch – und nur zu einem sehr viel geringeren Anteil aus normalen Sitzplätzen. Die anschließende Fahrt ins 400km entfernte Kundapur sollte sich bereits als das nächste Abenteuer herausstellen, doch zu dem Zeitpunkt war ich da definitiv noch nicht bereit für.

Zuerst dachte ich, was ich doch für ein Glück habe, ein Einzelplatz direkt am Fenster, sodass ich sogar noch viel sehen könne. Der Platz war jedoch relativ schmal und maximal 1,80m lang, sodass ich mich ziemlich eingeengt fühlte, denn gerade ausstrecken konnte ich mich nicht. Auch die Matratze war recht hart und der Fensterplatz erwies sich ebenfalls nicht wirklich als Segen, denn wie sich herausstellte, mussten wir mindestens zwei Stunden fahren, bis wir das Ende Bangalores erreichten. Zudem war es tierisch warm, meine Kleider klebten mir am Leib, und bei jeder der bereits bekannten Bodenwellen wurden alle im hinteren Bereich des Busses ordentlich durchgeschüttelt, gleich so, als sei der Busfahrer der Meinung, uns Europäern die Schönheit der indischen Straßen im wahrsten Sinne des Wortes einprägen zu müssen. Zu diesen Glücklichen gehörte blöderweise auch ich, wohingegen die meisten meiner Mitfreiwilligen, die im vorderen Teil des Busses lagen, davon nur wenig mit- und abbekamen. Dazu kamen dann irgendwann Hunger und Harndrang; bei ersterem rettete glücklicherweise ein noch in Deutschland gekauftes Käsecroissant das Leben, während letzteres sich als reale Bedrohung meines Schlafes herausstellte und erst kurz vor Knapp durch die einzige Toilettenpause auf der insgesamt, von Tür zu Tür beinahe zwölf Stunden langen Fahrt aus dem Weg geräumt wurde.

Um halb acht erreichten wir endlich das FSL Training Center in Kundapur. Nach der turbulenten Fahrt konnten wir endlich duschen, was auch bitter nötig war und zumindest versuchen, uns zu erholen, bis das Programm nach dem Mittagessen beginnen sollte. Das Training Center lag außerhalb des eigentlichen Ortes Kundapur inmitten von Bäumen und Natur und natürlich machten wir uns sofort daran, dass recht große Gelände in Augenschein zu nehmen.

Nachdem wir mit dem Mittag fertig waren, startete das Programm. Dazu gehörte ein traditionell indisches Willkommen und eine Führung über das Gelände. Den Abend hatten wir frei und so versuchten wir, uns der Mücken erwehrend, Kontakt in die Heimat aufzunehmen. Der nächste Tag brachte weitere Vorträge über FSL und Indien sowie unsere Sicherheit. Zudem fuhren wir am Nachmittag dann nach Kundapur selber, um uns dort mit Klamotten und weiteren Gegenständen des täglichen Bedarfs – bei mir Flip-Flops – einzudecken. Am Mittwoch begann unsere erste Spracheinheit, die uns vor Augen führte, dass es noch ein weiter Weg werden wird, bis wir uns auf Tamil (oder Kannada) werden unterhalten können und wir bereiteten einen Vortrag über das wunderbare Deutschland vor, denn am nächsten Vormittag war ein Besuch in einer Schule geplant, in der wir für insgesamt anderthalb Stunden uns um einen Teil der Kinder kümmern sollten, da in Indien gerade Schulferien herrschen. Später besuchten wir die Gastfamilie eines Freiwilligen, der selbst mit anderen Freiwilligen in einem zu dem Center gehörenden Projekt arbeitete, was vor allem den Unterhalt des Geländes und der Tiere beinhaltete. Dieser Ausflug war sehr interessant, wir wurden sehr warm willkommen geheißen und aufgenommen. Gleichzeitig war es uns so möglich, Fragen zum Leben in einer Gastfamilie zu stellen und aus erster Hand Antworten zu erhalten. Der Donnerstag begann unfassbar früh. Im Gegensatz zum sonst so entspannten Aufstehen um acht Uhr klingelte mein Wecker diesmal bereits um Viertel vor fünf – okay, eigentlich klingelte er das erste Mal um 4.30 Uhr, dann um 4.35 Uhr und 4.40 Uhr, bevor ich um 4.45 Uhr schließlich geweckt wurde; ich muss mich wohl in meiner Tiefschlafphase befunden haben. Der Grund für diese unmenschliche Aufsteh-Zeit war der Entschluss, zum Yoga im Tempel von Kundapur gehen zu wollen. Also machten wir uns in völliger Dunkelheit zu neunt auf den Weg und tatsächlich war dies wohl eine der besten Entscheidungen in Indien bisher, denn das Gefühl, den Himmel über einem aufgehen zu sehen, während man sich selbst abmüht, die Übungen sauber durchzuführen, ist einfach fantastisch. Nach der Einheit, welche um sieben Uhr beendet war, fuhren wir noch an den Strand und badeten im Arabischen Meer. Allerdings verschaffte uns dies nicht wirklich Abkühlung, denn die Temperatur muss nur unmittelbar unter der Temperatur der Luft gelegen haben. Nichtsdestotrotz war dies ein schönes Erlebnis, welches dadurch abgeschlossen und -gerundet wurde, dass wir zu acht in einer Rikschah zum Training Center fuhren, weil wir unter Zeitdruck standen und keine weitere in Sicht war, um uns angenehmer auf zwei Fahrzeuge verteilen zu können. Auch diese Fahrt war, dank der Enge im Tuk-Tuk, sehr abenteuerlich. Der Grund für unsere Eile war der, dass wir recht bald zu der bereits erwähnten Schule aufbrechen sollten, um das Programm beginnen zu können. Dort angekommen, durften wir dem Morgengebet lauschen. Anschließend übernahmen wir in zwei Gruppen die Verantwortung für je 25 Kinder, stellten ihnen Deutschland vor – sehr spannend – und spielten anschließend Spiele mit ihnen – was natürlich viel weniger spannend war. Jedoch mussten wir bald den Heimweg antreten, was uns aber nicht ganz ungelegen kam, denn die sengende Mittagssonne machte uns unsere Aufgabe nicht wirklich leichter. Trotzdem hat diese Aufgabe Spaß gemacht, obwohl die Sprachbarriere eine Herausforderung war, aber die Kinder waren sehr offenherzig und aufgeschlossen, was es uns sehr erleichterte. Den Nachmittag verbrachten wir mit weiteren Vorträgen, während denen es einem sehr bald zum Nachteil gereichte, bereits so früh aufgestanden zu sein. Dieser und der letzte Tag plätscherten mehr oder weniger vor sich hin, wir bekamen viele wichtige Infos vor allem auch von anderen Freiwilligen, die bereits seit letztem Sommer hier sind, mit auf den Weg gegeben und erhielten insgesamt sehr viel Input.


Am gestrigen Abend dann musste sich unsere Gruppe schließlich trennen: Nur der Teil, der in Projekten in Bangalore, Chennai oder Pondicherry unterkommen wird, reiste zurück nach Bangalore, wohingegen der Rest in Kundapur verblieb, um von dort auf die Projekte verteilt zu werden. Der Abschied viel schwer, denn obwohl man sich noch nicht sehr lange kennt, ist man doch zu einer Einheit geworden. Die erneute Reise über Nacht mit der dezimierten Gruppe war dieses Mal deutlich angenehmer als die Rückreise, im Bus fanden sich die weichsten Matratzen, denen ich in Indien bisher begegnet bin. So kamen wir nach einer vergleichsweise ruhigen Fahrt heute Morgen im guest house an, versuchten auszuspannen und gingen Shoppen zu Füßen der St. Mary's Basilica. Nachher werden wir erneut weniger werden und der kleine Teil, der nach Chennai geht, seine Reise dorthin fortsetzen. Ich hoffe, dass die Fahrt ebenfalls so angenehm wird, wie die gestrige und ich freue mich darauf, meine Gastfamilie kennenzulernen.

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